Leo Brunschwiler

Ausstellung
in der Praxisgemeinschaft Klosbach Zürich

Vernissage-Ansprache von Dr. med. Christian Schopper
Arzt für Neurologie / Psychiatrie / Psychotherapie

02.Dezember 2005


Sehr verehrte Gäste, (...)

   



Dr. med. Ch. Schopper

Ich möchte Sie ganz herzlich zur Vernissage der Ausstellung von Leo Brunschwiler in diesen schönen Räumen hier begrüssen. (...) Obwohl ich Leo erst vor kurzem kennen gelernt habe, ist er mir, sind mir seine Bilder und seine Sprache der Farben irgendwie vertraut. Davon möchte ich Ihnen etwas weitergeben und zum Hören, Lesen und Erleben, ja im tieferen Sinne zum schauenden Betrachten einladen.

Zum Ausstellungsort

Wir treffen uns hier in einem Haus der Kunst - und in einem Haus der Therapie. Sigismund Righini, ein der Kunstgeschichte bleibend bekannter Zeitgenosse von Ferdinand Hodler, wirkte bereits in diesem Haus, und seine Enkelin Hanny Fries, eine sehr renommierte Malerin und z.B. vor wenigen Jahren mit einer grossen Retrospektive im Kunsthaus Zürich geehrt, lebt und arbeitet ebenfalls in dieser schönen alten Villa. (...) Wir können also mit der Ausstellung an eine wirkliche Tradition anknüpfen. Wir befinden uns aber nicht nur in einem Haus der Kunst, sondern auch in einem Haus der Therapie, insbesondere der Körpertherapie. In diesem Raum, den Blickwinkel zwischen Kunst und Therapie werfend, möchte ich die Bilder von Leo anschauen.

Auswahl der Exponate

Wir haben uns für eine Art Werkstatt-Ausstellung entschieden. Wir finden in der Ausstellung Bilder mit verschiedenen Techniken und Materialien aus der Schaffensperiode der letzten Jahre versammelt, aber auch ganz neue Werke. (...)
Es scheint mir ganz wichtig zu sein, dass es sich um ein breites Spektrum handelt. Es sind nicht nur Aquarelle, nicht nur Lithos, es ist nicht ein Thema, sondern es ist ähnlich wie hier in der Praxis gearbeitet wird, wo ein ganz breites Spektrum, sehr verschiedene körpertherapeutische Verfahren, die von unterschiedlichsten Therapeuten hier ausgeübt werden, wo aber auch ein breites Spektrum von Problemen, Störungen, Krankheitsbildern behandelt werden. Es geht also gerade nicht um Spezialisierung, die Begrenzung. Die Bilder spiegeln diese grosse Breite. Technisch haben wir Aquarelle, Lithografien und Zeichnungen als Schwerpunkt, wobei die meisten Exponate Zeichnungen sind. (...) Sie werden sehen, dass es viele Übergänge zwischen den verschiedenen Herangehensweisen von Leo gibt, insbesondere bei den Bäumen hat man es mit eigentlichen Skulpturen, ja räumlichen und flächigen Installationen zu tun. (...)

Eine Wurzel von Leo Brunschwilers künstlerischem Schaffen

Die geistige Verwandtschaft dieser Bilder, die geistige Verwandtschaft von Leo? - eine grosse Frage. Er hat mir gesagt, dass die Kalligrafie eine Beziehung - eine geistige Heimat darstellt. Und wer sich in der Kalligrafie der asiatischen Kunst auskennt, weiss, dass die Kalligrafie sehr konzentriert, verdichtet und pointiert ist, dass sie nicht aus einer oberflächlichen Betrachtung entsteht, unter diesem Betrachtungswinkel von aussen geradezu langweilig erscheint. Und das hat wiederum eine tiefere Wurzel im Zen. Zen hat mit SEIN zu tun, es gibt kein wirklich deutsches Wort, das Zen übersetzbar macht. Es ist das Mysterium des Augenblicks, des Geheimnisses des Gewahrseins und der konzentrativen wirklichen Gestaltung des erlebenden Moments. Sie merken, wie Worte versuchen, ein Erlebnis, eigentlich nur zu Erfahrendes, mühsam begrifflich zu beschreiben. Etwas sehr Schwieriges, wo natürlich der Künstler eine ganz andere Zugriffsmöglichkeit hat als wir, die nicht in der Kunst stehen.

Der Baum

(Der Sprechende blickt in die Runde und fragt ein anwesendes ca. 5jähriges Kind:) "Was ist dein Lieblingsbild, was gefällt dir am besten?" - (Das kleine Mädchen zeigt freudig und interessiert auf einen orangen Baum, ein grosses Bild ihm gegenüber im gleichen Raum.) "Der orange Baum dort drüben an der Wand." - Ich denke, du hast etwas ganz Wichtiges gesagt, die Bäume stellen für mich einen zentralen Punkt der Ausstellung dar und ich darf Sie auch sehr einladen, das was das Mädchen gesagt hat, zu prüfen, vielleicht selber zu erleben. Meine persönliche Meinung ist, dass die Kinder oft ausserordentlich gute Kunstkenner sind, und dass es eine Bedeutung haben kann, welche Bilder sie gut heissen und welche nicht. Ich lade Sie ein, sich etwas tiefer mit diesen Bäumen zu beschäftigen.

Wie gesagt, es handelt sich um Bäume und zwar sind es bestimmte Bäume. Wenn Sie das anschauen, werden Sie merken, dass das Bild, die Oberfläche wandert. Es ist nicht statisch, es ist eine Art Relief. Wenn wir uns damit beschäftigen, wird es vom Relief zum Baum, dreidimensional. Sie können in die Fläche springen, Sie können um den Baum herumgehen, Sie können ihn auch pointillistisch als Punkte sehen. Rembrandt war der erste grosse Maler und Künstler, der uns gelehrt hat, dass ein Bild eigentlich erst zum Bild wird durch den Betrachter. Das können Sie wunderbar bei Rembrandt üben, wenn Sie z.B. ein Bild von ihm im Kunsthaus Zürich ansehen: Es hat dort eins mit dem Titel "Bildnis des Paulus". Er hat den Betrachter mitdazugemalt. Es gibt eigentlich die Bilder bei Rembrandt ohne den Betrachter gar nicht. Sie erschliessen sich im Licht und Inhalt und Stimme erst durch den schauenden Beobachter. (...) Es scheint mir gerade bei den Baumbildern bei Leo etwas ganz Wesentliches zu sein, dass wir als Betrachter eine Verschmelzung, eine Integration, etwas Gemeinsames mit dem Baum eingehen.

Biografische Bedeutung

   



"Birnbaum, Zeichnung LB/77"

Es ist nicht irgend ein Baum. Es ist ein Baum, der für Leo eine wichtige biografische Bedeutung hat. In einer seiner ersten Ausstellungen als 22jähriger junger Künstler ging es auch um diesen Baum. Damals, 1977 hatte Leo eine Bleistiftzeichnung eines Birnbaums im Format A4 ausgestellt. Der Hochstamm-Birnbaum (Pyrus communis) hat das Landschaftsbild der Ostschweiz als Kulturpflanze wesentlich geprägt (ähnlich der Bedeutung des Olivenbaums in der Toscana). Leider verschwindet dieser eindrückliche Baum mehr und mehr. Leo hatte diesen Baum in der Nähe des Bodensees im Thurgau vor Ort und im inneren Dialog mit diesem Baum skizziert. Dieser Zeichnung, welche an der Ausstellung damals verkauft wurde, und die er längst aus dem Auge verloren glaubte, begegnete er vor ca. einem Jahr durch einen Zufall mehrmals wieder. Diese erneuten Begegnungen waren wie das Zusammentreffen mit einem alten Freund. Es scheint, als wäre der Künstler seinem "Urbaum" wieder begegnet. Das Thema "Baum" ergriff den Künstler erneut und er beschloss, es von Neuem aufzugreifen. In der Ausstellung hier sehen Sie das vorläufige "Resultat" dieser Auseinandersetzung, welche für den Künstler längst noch nicht abgeschlossen ist.

Der innere Baum

Was für ein Baum ist das? Ich denke, jeder von uns hat in sich einen Baum, und es gibt Lebenssituationen, wo es ungeheuer wichtig ist, dass es diesen inneren Baum gibt. Ich hatte letzte Woche eine Patientin, die mit einer sehr schwierigen psychiatrischen bzw. psychischen Symtomatik zu mir kommt. Wir haben dann eine bestimmte psychotherapeutische Übung gemacht und wir begegneten ihrem Kind-Ich, und dieses Kind-Ich war allein, es war kalt. Die Patientin hatte eine sehr schlimme Kindheit gehabt. (...) Dann konnten wir plötzlich diesen Baum in ihrer Seelenlandschaft aufsuchen. Und es gelang ihr innerhalb einer Viertelstunde, dass sie diesen Baum in ihrem Zentrum wiederentdeckte, und sie zum erstenmal seit längerer Zeit wieder einen Zugang fand zu einer Instanz, die diesen Begriff des Baumes beschreibt, was etwas zu tun hat mit Ruhe, Geborgenheit und Angekommensein. Insofern ist der Baum als Metapher auch etwas ganz Konkretes. Versuchen Sie einmal zu erleben: Wie korrespondiere ich mit diesem Baum? Was ist mein Baum? Was ist mit diesem vielleicht meinem Baum auf dem Bild? Was mit meinem inneren Baum? Und bei jeder Frage können Sie ein ganz anderes Erlebnis haben.

Der orange Baum

   



"Farbbaum Orange LB/05"

(Zum kleinen Mädchen:) Ich finde es ganz toll, dass du den orangen Baum als deinen Favoriten ausgewählt hast, weil wirklich ein "oranger Baum" ganz konkretistisch gemalt ist. Wir sehen ein eindrückliches Spiel mit dem Orange, der heiligen Farbe in Indien. Es hat eine tiefe Bewandtnis, denke ich, dass es gerade die Farbe Orange ist, welche dich besonders anspricht. Es gibt eine Seelenverwandtschaft mit einer bestimmten Stimme, die es zu entwickeln gilt. Die Frage auch, wie überhaupt ein Bild entsteht, können Sie ein Stück weit selber beantworten, indem Sie einmal versuchen das Bild, z.B. das eines Baumes, nachzuschaffen und neu schöpferisch in Ihnen entstehen zu lassen. Das Bild ist "nicht nur da draussen", es ist auch "innen" - wie ist es mit dem lebendigen Dialog des Bildes mit mir / in mir?

Bildbetrachtung im Hier und Jetzt

(...) Sie werden beim Ausstellungsrundgang, wenn sie die Bilder auf sich wirken lassen, eine interessante Beobachtung machen können. Die Bilder von Leo erschliessen sich nicht im raschen Betrachten, sondern sie brauchen eigentlich das Eintauchen, die Versenkung in der ruhigen Betrachtung, sie bedürfen der aktiven eigenschöpferischen Vergegenwärtigung. Das bedeutet, ICH muss ganz gegenwärtig sein, im Hier und Jetzt, im ZEN. In der Neurowissenschaft können wir zeigen, dass sich "Jetzt" im Zeitintervall von mind. 4 Sekunden ereignet. Also ich brauche mindestens 4 Sekunden, um überhaupt in der Jetzt-Zeit zu sein. Alles, was darunter ist, ist eigentlich gar nicht Gegenwart.

Polarität und Gleichgewicht

Wenn wir nun die Zeichnungen ansehen gibt es interessante, phänomenische Merkmale. Leo arbeitet viel mit Paaren, vor allem Gegensatzpaaren: Punkt und Linie, Fläche und Raum, Komplementärfarben usw. - paarige Polaritäten (so sind z.B. auch die Baumbilder immer als Paare gehängt), wo die Farben einen bestimmten Gegensatz bilden. Es geht also auch darum, in uns Polaritäten zu erleben sowie daraus die Spannung, die einen Ausgleich findet. Aber ist aber auch das Thema der Symmetrie, des Gleichgewichts, das komponiert und motivisch durchgearbeitet ist - immer aus der Spannung , aus dem Durchgeführten in Farbe und Form - in Bezug auf das Thema der Ausgewogenheit. Versuchen wir, in wirklichen Metaphern zu hören und zu sehen.

Therapie als innerer Prozess

Jetzt möchte ich Sie einladen, einen innerlichen Sprung zu machen in das, was in diesen Räumen neben den Bildern noch stattfindet. Wir haben hier viele Hilfesuchende, Kranke und Bedürftige in diesen Räumen, hauptsächlich Schmerz-, Unfall- und Traumatapatienten, die genau das suchen, was ich vorher ausgeführt habe: Sie suchen die Symmetrie des Gleichgewichts, die Ausgewogenheit. Sie versuchen, wieder Polaritäten und Spannungen zu erleben. Sie sind herausgefallen aus dieser Mitte, sie brauchen also eigentlich wieder einen Weg, um sich in das Gleichgewicht zu bringen. Sie suchen einen Raum, in dem sie das wieder erfahren können. Und die Körpertherapie, die in diesen Räumen stattfindet, versucht, diesen Patienten wieder diesen Raum zu vermitteln. Am Beispiel der Craniosacraltherapie möchte ich das aufzeigen. - Was macht die Craniosacraltherapie? Es hat vom eigentlichen Wort her wenig mit "sakral" - "heilig" zu tun, es ist anatomisch gemeint: "Sakrum" - "Steissbein", also ganz banal. Und "Cranio" heisst Kopf. Therapie bedeutet, es geht um Veränderung und einen inneren Prozess. Die Craniosacraltherapie arbeitet ganz im Ruhigen, Stillen und gerade in diesen leisen Kräften. Wenn Sie sich vorstellen, Sie nehmen eine 10-Rappenmünze und legen diese auf den Handrücken und versuchen, das Gewicht dieser Münze zu spüren, da werden Sie eine ganz andere innere Haltung einnehmen müssen, bis Sie das Gewicht verspüren. In diesen Kräftekonstellationen, die oft zu traumatischen Kräften und starken Schmerzen, dieser Schwere und Verfestigung in diametralen Gegensatz stehen, arbeitet die Craniosacraltherapie. Sie setzt an am Rhythmus, an der inneren Bewegung, und versucht, dem Menschen wieder Rhythmus, Bewegung und Gleichgewicht zu geben. Novalis spricht davon:" Jede Krankheit ist eigentlich ein musikalisches Problem."

Farben hören - Töne sehen

Wir kennen aus der Neurologie die Synästhesie. Wa ist das? Synästhesie bedeutet, dass es Menschen gibt, die beim Hören die Töne als Farben erleben. Umgekehrt können wir sagen, wir können Farben hören. Und ich bin dabei der vollsten Überzeugung, dass dies nicht nur spezielle Menschen können, bei denen das Gehirn so organisiert ist, sondern dass jeder unterschwellig ein Synästhetiker ist. Wir können alle Farben hören, wir alle können Töne sehen. Wir können es entdecken, es üben. Ich darf Sie sehr einladen einmal diese Bilder darauf hin anzuschauen. Wie kann ich Töne sehen, wie kann ich Farben hören? Wie ist das Erleben dieser Bilder? Eine Art "musikalisches Problem". So ist vielleicht auch die Therapie, die hier stattfindet, im Grunde etwas sehr Musikalisches. Die Bilder von Leo erschliessen sich mir nicht nur durch das Sehen, sondern sie brauchen das Hören. Und Hören braucht einen Raum und Ruhe. In diesen Räumen kann dann die Begegnung mit der Craniosacraltherapie stattfinden.

Heilsame Bilder

Was sind überhaupt heilsame Bilder? Fast ein Anachronismus heute, wo Kunst dramatisch, laut, grell, oft aggressiv sein muss, um Erfolg zu haben und bekannt zu werden. Was ist heilsame Kunst? Ich habe versucht, Ihnen einiges davon auszuführen, einige Worte zu sagen. Heilsam ist, wenn das Ich im gegenwärtigen Moment versucht, etwas herzustellen, wo Entspannung und Lösung im Moment geschieht, wo im Moment sich etwas auspendelt. Ich denke, dass die Bilder von Leo hierzu einladen, in dieser Art zu sehen, zu hören und in einen Prozess zu kommen, sich selbst einmal darauf einzulassen und diesen Prozess selbst aktiv zu gestalten.

(Der Vortragende rezitiert abschliessend nach einer kurzen Einleitung
- 2 japanische Haikus aus dem 9. Jhh.
- ein Gedicht des spanischen Dichters Rafael Alberti)


Ich darf Sie herzlich im Namen der ganzen Praxis und des Künstlers einladen, die Bilder nun in Ruhe und unter etwas neuen und ungewohnten Gesichtspunkten zu betrachten.

* * * * * *

© Dr. med. Christian Schopper, Leo Brunschwiler

(Text gegenüber dem Originalvortrag leicht redigiert und gekürzt, inhaltlich jedoch unverändert. Zwischentitel zwecks Übersichtlichkeit nur in der vorliegenden schriftlichen Version. LB 07.08.2006)

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